ESSAY-BRIEF

Essay-Brief September 2016

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Ist Gott auch Terrorist?

© Bernd Helge Fritsch

 

Zu diesem Essaybrief wurde ich durch die folgende Zuschrift angeregt:

Hallo Bernd!

Habe gerade dein Buch " Das Kleinod des Shankara " gelesen und habe jetzt eine Frage die mich beschäftigt:

Immer wieder schreibst du Sätze wie „alles ist Gott“ oder „alles ist aus Liebe geschaffen“. Nun möchte ich von dir hören, wie du diese furchtbaren Terroranschläge einordnest? Ist das auch Gott? Oder Liebe?

Im normalen Leben habe ich keine Schwierigkeiten " alles ist Gott " zu verwirklichen – aber bei diesen Gräueltaten?

Danke!

Mit lieben Grüßen Christian

Wer ist Gott?

Um Christians Frage, ob alles Gott sei, zu beantworten, müssen wir vorerst klären: Wer oder was ist Gott? Entspricht er der Vorstellung von einem allmächtigen, liebenden und strafenden Vater im Himmel? Hat „er“ die Welt so geschaffen wie sie ist?

Christian geht offenbar davon aus, dass Gott ein Guter, Kluger und Liebender ist und er fragt sich: „Wie kann trotz der erschreckenden Taten, die sich tagtäglich in der Welt ereignen, alles Gott sein?“

Ramana Maharshi antwortete einst auf die Frage was Gott sei: „Gott ist, was ist!“. Doch es ist für uns schwer, das was wirklich ist, zu erkennen. Allzu sehr wird unsere Sicht der Dinge durch unsere Denkmuster und durch unsere duale Denkweise eingetrübt. Erst in der „reinen Wahrnehmung“ bei der wir unser Denken, unser gewohntes Analysieren, Be- und Ver-Urteilen möglichst hintanhalten, können wir dem, was tatsächlich ist, näher kommen.

Gut und Böse

Der Ursprung aller Probleme auf dieser Welt liegt in der Unterscheidung von „Gut“ und „Böse“. Vermeiden wir diese Art der Beurteilung, so öffnet sich für uns ein Sein jenseits unserer üblichen Sichtweise. Dieses Sein ist mit Worten nicht zu beschreiben. Die alten Inder definierten es als „sat, chit, ananda“, als „Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit“. Man kann diese Dimension nur erahnen, erfühlen und letztlich nur mit ihr Eins sein.

Die Tiere kennen keine Unterscheidungen in „Gut und Böse“. Sie be- und verurteilen die Dinge und Ereignisse nicht, so wie wir Menschen das tun. Sie leben ihr Leben so wie es durch ihren Instinkt vorgezeichnet ist. Sie sind stets Eins mit dem Sein (mit Gott), wie immer sich ihr Leben gestaltet. Hingegen lebt der Mensch vorwiegend in einem Spannungsfeld zwischen Wünschen, Hoffen und Begehren einerseits und Angst, Sorge, Ablehnung und Bekämpfen andererseits.

Zur geistigen Evolution des Menschen gehört offenbar dieses höchst problematische Unterscheiden von „Gut und Böse“. Das Sein (Gott) wollte offenbar, dass der Mensch auf seinem Entwicklungsweg in diese Art von Spaltung seines Bewusstseins gerät. Im Gleichnis von der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies wird dieses Geschehen wunderbar beschrieben. Danach schuf Gott den Baum der Erkenntnis von „Gut und Böse“ und veranlasste sodann mit Hilfe der Schlange (Symbol für Schlauheit und Erd-Verhaftung) den Menschen von den Früchten dieses Baumes zu essen. Im Folgenden wird geschildert, wie für Adam und Eva, durch ihr neu erworbenes „Gut- und Böse-Denken“, die Verbindung zur Glückseligkeit des Paradieses in Verlust geriet. Ihr Zugang zu Gott (dem allumfassenden Sein) wurde verschlossen. Sie müssen seither – solange bis sie den nunmehr anstehenden Entwicklungs-Schritt vollziehen – das Elend der irdischen Welt erdulden.

Alles ist Gott

Das „Gut- und Böse-Denken“ ist die Ursache aller Konflikte und Kriege. Soweit wir in der Geschichte der Menschheit zurück blicken, kämpften immer wieder die vermeintlich „Guten“ gegen die angeblich „Bösen“. Wobei natürlich jeder der Beteiligten stets überzeugt war, dass er zu den Guten gehört und dass die „Bösen“ die anderen sind.

Fragen wir uns nun: „Sind Terroristen wirklich „böse“ Menschen?“. Sind sie nicht genauso überzeugt, das Richtige zu tun, so wie dies alle anderen Menschen glauben? Bilden sie sich nicht ein - ebenso wie wir dies tun - auf der Seite der „Guten“ zu sein?

Alles ist Gott! - nicht nur das Gute und Schöne! Dass sich Menschen gegenseitig verletzen und töten, bezeugt die tiefe Unbewusstheit in der sie sich befinden. Zugleich ergibt sich daraus für alle Leidtragenden die Chance zum Erwachen. Alles scheinbar Negative auf dieser Welt und in unserem Leben eröffnet uns die Möglichkeit zur Verwirklichung unseres „Selbst“, zur Verwirklichung einer Harmonie mit dem Sein jenseits unseres dualen „Gut- und Böse-Denkens“. Nur mit der Transformation unseres dualen Denkens werden wir den Sinn unseres Erden-Daseins verwirklichen.

Unser dualer Verstand zwingt uns offenkundig „Gutes und Böses“, „Licht und Schatten“ in dieser Welt zu erblicken. Aus dieser dualen Bewusstseins-Dimension gesehen, ist natürlich jedes Leid, welches ein Mensch einem anderen Menschen zufügt, ein schrecklicher Wahnsinn.

Aus höherer Perspektive betrachtet, jenseits dieses „Gut- und Böse-Denkens“, ist alles irdische und jenseitige Geschehen vollkommen. Wie die Evangelien plakativ zum Ausdruck bringen, ist bei Gott sogar jedes Haar auf unserem Haupt gezählt (Luk 12,7 und Mat 10,30). Deshalb besteht kein Grund für uns Menschen sich zu ängstigen und sich zu sorgen. Wir können stets darauf vertrauen: „Das Schicksal macht keine Fehler!“

Werden und Vergehen

Zur Vollkommenheit der Welt gehört auch die Vergänglichkeit aller Lebewesen. Täglich sterben viele tausend Menschen auf welche Art immer und werden ebenso viele wieder geboren. Und das ist sehr gut so! Stell dir vor, es gäbe im Pflanzen-, Tier- und Menschenreich keinen Tod! Jede Entwicklung würde erstarren. Alles Leben käme zum Stillstand.

Unsere Einstellung zu diesem Kommen und Gehen in der äußeren Welt, bestimmt unsere spirituelle Entfaltung. Aus einer höherer Warte gesehen ist es egal ob jemand durch einen Unfall, durch Krebs, durch einen Herzinfarkt, an Altersschwäche, durch Krieg oder durch einen Terrorakt stirbt. So sehr sich unser beschränkter Verstand dagegen sträuben mag, zum Leben gehören Alter, Krankheit und Tod ebenso wie Geburt und Wachstum.

Unsere Ängste vor den „Bösen“, vor Krankheit, Altern und Tod beruhen auf unserer eingeschränkten Wahrnehmung. Die meisten Menschen kennen nur die äußere, vergängliche Welt. Sie sind durch die Art ihres Denkens getrennt vom Sein hinter den Erscheinungen. Sie leben getrennt vom Paradies.

Erst wenn wir erkennen, dass unser wahres Wesen, unser Seelengrund, weder geboren wird noch jemals stirbt, verlieren Alter, Krankheit und der Tod des Körpers ihren Schrecken.

Das Karma-Gesetz

Im engen Zusammenhang mit der Verblendung des Menschen durch sein „Gut und Böse-Denken“ steht das Karma-Gesetz.

Dieses spielt im Leben des unerwachten Menschen eine mächtige Rolle. Nach diesem Gesetz hat alles, was einem Menschen „zustößt“, seine Ursache in seinem bisherigen Denken und Handeln. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand, der einem Terrorakt zum Opfer fällt, selbst in einem vorhergehenden Leben andere Menschen verletzt oder getötet hat. Auf Grund der vielen Kriege, die in den letzten Jahrtausenden stattgefunden haben, bei denen Millionen von Menschen mitgewirkt haben, ist es nicht verwunderlich, wenn sich daraus für viele Millionen Menschen entsprechende karmische Folgen ergeben.

Allerdings ist das Karma-Geschehen in der Regel viel differenzierter und komplexer, als es dieses einfache Beispiel beschreibt. Hüte dich vor einem voreiligen Urteil. Nicht jeder Mensch, der zum Opfer wird, war im seinem vorangehendem Leben ein Täter.

Und hier ist die gute Nachricht, die wir schon aus der Bhagavad-Gita kennen: Karma ist Teil der Schule, welche den Menschen hilft eine höhere Bewusstseins-Dimension zu erreichen. Ist diese Mission für eine Person erfüllt, so enden für sie alle Auswirkungen ihrer vergangen Handlungen. Denn das Karma-Geschehen existiert für jeden Menschen nur solange, als er nicht aus der Illusion vom „getrenntem Sein“, aus der Illusion von „Werden und Vergehen“, aus der Illusion von „Gut und Böse“ erwacht.

Gottgesteuerte Terroristen

Wie schon erwähnt, befinden sich Menschen, die andere absichtlich schädigen, verletzen und töten in einem Zustand tiefer Verirrung und Unbewusstheit. „Herr vergib‘ ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ (Luk 23,34). Sie sind hochgradig fremdgesteuert. Sie handeln getrieben von unkontrollierten Emotionen, Hass, Gier und sonstigen verrückten Ideen und irrealen Vorstellungen. Sie sind in einem hohen Maße unfrei und unzurechnungsfähig. Wer also steuert sie?

So absurd es klingt, Terroristen sind in einem gewissen Sinn mehr durch „Gott“ (durch das Sein, wie es ist) fremd-gesteuert, als jeder bewusst denkende und handelnde Mensch. Letztere befinden sich bereits auf einem höheren Bewusstseins-Niveau. Denn je mehr Einsicht und Weisheit, desto freier und zugleich verantwortlicher ist der Mensch für sein Tun und Lassen.

Wie die altindische Philosophie zum Ausdruck bringt ist es die „niedere Natur Gottes“, die in dem unbewussten, von „tamas“ und „rajas“ gelenkten Handeln der Menschen ihren Ausdruck findet.

Alle Ereignisse dienen unserem Erwachen

Soweit wir in der Geschichte der Menschheit zurückblicken, haben sich die Menschen zu Tausenden und Millionen immer wieder gegenseitig bekriegt, verfolgt, versklavt und ausgebeutet. Jetzt kannst du dich fragen: „Sind Gott die Geschicke unserer Erde aus der Hand geglitten?“, „Ist er gar schwach, dumm und unfähig?“. Nein! All diese bedauerlichen Ereignisse dienen einem höherem Zweck, nämlich dem Erwachen einer möglichst großen Anzahl von Menschen. Doch, wie relativ leicht zu erkennen, sind „Viele berufen, aber nur Wenige auserwählt!“ (Mat 22,14). Oder besser gesagt: „Nur Wenige sind bereit sich auswählen zu lassen!“

Der Sinn unseres relativ kurzen Lebens innerhalb einer Inkarnation besteht in erster Linie in unserem „Erwachen“. Nicht wie lange wir leben und wie wir sterben ist wichtig, sondern ob wir dieses Ziel verwirklichen.

Es gilt insbesondere aus der Illusion von „Gut und Böse“, von „Geburt und Tod“, von “Suchen und Finden unseres Glücks“ und schließlich aus dem Traum von der „Unvollkommenheit des Seins“ zu erwachen.

Alles scheinbar „Negative“ (Böse), dem der Mensch in seinem Leben begegnet, wie zum Beispiel seelischem Leid aller Art, Verluste, Ungerechtigkeiten, Unfälle, Krankheit und Tod, dient diesem Ziel.

Leiden gibt uns die nötigen heftigen Impulse damit wir bereit sind unsere wahre Wesenheit und Bestimmung zu erkennen. Es sollte uns motivieren eine höhere Bewusstseins-Stufe zu erreichen, als die äußerst unbewusste, halb-tierische in der sich die meisten Menschen derzeit befinden.

So gesehen steckt in jedem Unglück, in jedem Terror, in jedem Schmerz ein großes Geschenk.

Ohne diese „Geschenke“ wäre kaum ein Mensch bereit sich um seine spirituelle Entwicklung zu kümmern. Denk an Gautama Buddha, der auch erst dann bereit war seinen spirituellen Weg zu gehen, als er das erste Mal die königlichen Besitzungen verlassen hat und außerhalb seiner „heilen Welt“ mit Leid, Krankheit und Tod konfrontiert wurde.

Ich bin sicher, dass auch du durch schmerzvolle Erfahrungen, und durch die Sehnsucht nach Befreiung von Sorgen und Problemen angeregt wurdest, dich tiefer mit spirituellen Fragen zu beschäftigen.

Erkennen wer wir sind

Wenn wir erkennen wer wir sind, identifizieren wir uns nicht mehr mit unserem Körper. Wir akzeptieren seine Verletzbarkeit und Sterblichkeit. Diese Eigenheiten beunruhigen uns nicht mehr. Wir lernen dem Schauspiel des Lebens gelassen zuzuschauen und werden uns der Unbegrenztheit, Unsterblichkeit, der Liebe und Weisheit und nicht zuletzt der Glückseligkeit unseres innersten Wesens bewusst.

Wir identifizieren uns nicht mehr mit den ständig kommenden und vergehenden Ereignissen auf dieser Erde. Wir erkennen und akzeptieren die Vergänglichkeit aller weltlichen Erscheinungen und wenden uns dem Unvergänglichen zu.

Schließlich gehen wir in unserem Bewusstsein über das oben erwähnte „gut und böse – Denken“ hinaus. Wir durchschauen das Spiel der „Maya“ (indische Göttin der Illusion, die unser duales Denken verursacht).

Eben dadurch, dass wir die Weisheit, Liebe und Vollkommenheit in allen Erscheinungen erkennen, erwachen wir zu unserem wahren Leben. Damit findet alles Leiden sein Ende. Wir erkennen, dass alles zeit- und raumloses Bewusstsein (= Gott) ist.

Was tun gegen meine Ängste und die Probleme in der Welt?

Viele Menschen befinden sich angesichts des gegenwärtigen Flüchtlings-Dramas, der Armut, des Elends und der Kriege in manchen Ländern sowie der oft religiös motivierten Terrorakte in der Welt in einem Gefühls-Konflikt. Dieser ist vorzüglich von Ohnmacht, Mitleid, Angst und Sorgen geprägt. Und es stellt sich die Frage: „Wie können wir mit dem Leid und dem Terror in der Welt einerseits und andererseits mit den dadurch in uns ausgelösten Gedanken und Gefühle richtig umgehen?

Um diesen Essay-Brief nicht noch umfangreicher zu gestalten, verweise ich auf die „10 Gebote des radikalen Yoga“ wie diese in den letzen Essay-Briefen erläutert wurden. Einige Stichworte mögen dich anregen, dich mit diesen Briefen intensiver als bisher auseinander zu setzen:

Achtsamkeit und Gedankenkontrolle; Akzeptanz; Radikales Vertrauen; Bedingungslose Liebe; Deine Beziehung von Gott zu Gott...

 

Herzliche Grüße

Bernd